Könnt ihr in drei Sätzen erklären, was „demokratischer Konföderalismus“ ist?
Das Konzept des demokratischen Konföderalismus kommt aus der kurdischen Befreiungsbewegung. Es ist ein Konzept für gesellschaftliche Selbstorganisierung und beruht auf drei Säulen: radikale Demokratie, soziale Ökologie und Frauenbefreiung. Das bedeutet das Organisieren in kleinen Räten und Kommunen, um so im Kollektiv gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen.
Nordsyrien war viele Jahre ein Machtvakuum. Assad war weit weg und anderweitig beschäftigt.
Inwieweit sind Methoden, die dort funktionieren, auf Mitteleuropa übertragbar?
Die Idee der Organisierung in Räten ist nicht nur etwas, was in Nordsyrien gelebt wurde, sondern auch in der Geschichte von Mitteleuropa immer wieder ausprobiert wurde. Grundsätzlich stimmt die Feststellung, dass der Staat als organisierende Kraft in Syrien viel schwächer ist als hier in Deutschland. Hier ist viel mehr staatlich geregelt und gleichzeitig sehen wir, welche gesellschaftlichen Folgen mit dem vermeintlichen Sozialstaat einhergehen: Vereinzelung, Zukunftsängste, politische Entfremdung, mangelndes Vertrauen in die Politik, die Liste ließe sich lange fortsetzen.Wir sehen, dass die aktuell herrschenden Kräfte nicht in der Lage sind auf die aktuellen gesellschaftlichen Probleme Antworten zu liefern. Deswegen sehen wir eine Notwendigkeit darin, uns als Gesellschaft, in internationaler Verbundenheit, auf lokaler Ebene zu organisieren. Und uns wieder zuzutrauen, unserer Probleme kollektiv zu lösen. In den aktuellen Studien zu ehrenamtlicher Arbeit und unbezahlten Überstunden, sehen wir, wer unsere Gesellschaft eigentlich am Laufen hält.
Gleichzeitig wissen wir auch, dass die Regionen in Kurdistan sehr ländlich geprägt sind. Eine Selbstverwaltung und Selbstorganisierung lässt sich in ländlichen Regionen mit Zugang zum Land und einer geringen Anzahl an Menschen einfacher realisieren. Wir sind hier in der Stadt, wo niemand Land besitzt und eine größere Anonymität und Vereinzelung herrscht, mit größeren Herausforderungen konfrontiert.
Ihr habt vor einem Jahr erstmals Bochumer Initiativen zu einem „Rat von unten“ eingeladen.
Was ist das für ein Konzept und was sind die Ziele?
Mit dem Rat von Unten wollen wir die Arbeiten, die für eine demokratische, gerechtere und freiere Gesellschaft stehen, zusammenführen, ihnen Bedeutung geben und sie politisieren. Es gibt in Bochum zahlreiche demokratische Kräfte, die sich für die Interessen einsetzen, die in der staatlichen Politik nicht vorkommen. Wir haben das Ziel einen langfristigen Ort zu schaffen, an dem wir die außerparlamentarischen Kräfte der Stadt bündeln und zusammenbringen. Wir selber haben dafür einen 10-Jahres-plan aufgestellt und nächstes Jahr im Sommer 2026 wollen wir uns gemeinsam mit allen Beteiligten in einer großen Konferenz fragen, wie es mit der Struktur des Rates weitergehen kann. Natürlich gehört dazu auch die verschiedenen Gruppen aus ihrer Vereinzelung rauszuholen und eine Struktur aufzubauen, die, wenn sich die Krisen weiter zuspitzen, handlungsfähig ist. Wenn wir Krisen sagen, dann beziehen wir uns auf globale Entwicklungen bezüglich neuer Weltordnung, Inflation, Ressourcenknappheit, Aufrüstung, Faschismus etc.
Einer der Räte hat sich auch als Schwerpunktthema mit der bevorstehenden Kommunalwahl befasst. Was versprecht ihr euch von der Wahl und wie soll es danach weitergehen?
Ganz ehrlich? Nichts. Natürlich freuen wir uns, wenn die Linke die Anliegen der politischen Bewegungen außerhalb des politischen Parteiensystems in den Stadtrat trägt. Dennoch bleiben wir bei unserem Bild des Tausendfüßlers: Tausendfüße auf der Straße und einer im Parlament. Wir glauben, dass politische Veränderung von der gesellschaftlichen Selbstorganisierung außerhalb des Rathauses ausgeht. Gleichzeitig erkennen wir natürlich an, dass aktuell Entscheidungen, die unser aller Leben betreffen, im Rathaus getroffen werden. Deswegen halten wir es für strategisch sinnvoll, verbundene Kräfte auch im Stadtrat zu haben. Deswegen haben wir uns auch mit der Kommunalwahl befasst, um unsere Perspektiven auf lokale Politik zu diskutieren und uns strategisch, kollektiv mit der Kommunalwahlen zu befassen.
Auch die Kampagne „Bochum gemeinsam“ ist ein Initiativenbündnis. Ihr gehört zu den
Unterstützer*innen. Wo seht ihr Überschneidungen und Gemeinsamkeiten?
Wir teilen das Anliegen, Bochum aus gesellschaftlicher Perspektive gemeinsam zu gestalten. Dabei eint uns die Vision einer demokratischeren Gesellschaft, in welcher die Sorge umeinander im Vordergrund steht und nicht Profitinteressen und Standortattraktivität, die, wie es scheint, die Politik der Stadt bestimmen. Ohne Parteizugehörigkeit arbeiten alle Kräfte von ,,Bochum gemeinsam“ sehr aktiv und engagiert an einer demokratischen Gestaltung unserer Stadt. Gleichzeitig verbinden uns gemeinsame Werte und Haltungen in Bezug auf Gleichberechtigung, Chancengleichheit, Nachhaltigkeit, Demokratie. Wir wollen eine lebenswerte Stadt für alle. Und damit sind wir ganz sicher inklusiver als andere rassistische, klassistische oder anti-feministische politische Kräfte in der Stadt.
