Bericht von einer gelungenen Veranstaltung
Zu diesem Thema veranstaltete die Kampagne „Bochum – gemeinsam“ einen Polittalk am Freitagabend im Rahmen der bobiennale, die mit rund 70 Zuschauer:innen recht gut besucht war. Miteinander und mit dem Publikum diskutierten der Politologe für Gesellschaftswissenschaften Dr. Toralf Stark von der Uni Duisburg/Essen, Dieter Schöffmann aus Köln, selbständiger Berater mit Schwerpunkt auf Fragen des Bürgerengagements und der Bürgerbeteiligung, und Andrea Wirtz vom Bochumer Netzwerk für Bürgernahe Stadtentwicklung.
Gabi Fuchs vom LutherLAB in Langendreer stellte als Moderatorin die Fragen vor, um die es an dem Abend gehen sollte: „Wie kann es gelingen, eine andere Kultur des Miteinander zu schaffen, in der Partizipation ein verbindlicher Bestandteil der politischen Strukturen in unserer Stadt wird? Was bedeutet das auch für die politische Praxis? Welche Anforderungen stellt Bürgerbeteiligung an alle Beteiligten? Verzögert sie politische Prozesse? Ist sie überhaupt repräsentativ? Oder qualifiziert und bereichert sie?“
Krise der Demokratie?
In seinem Einleitungsreferat rückte Toralf Stark die Dinge zurecht: „Ausgangspunkt der Diskussion, die wir heute führen, ist das Phänomen, dass man das Gefühl hat, dass Politiker möglicherweise nicht mehr im Sinne der Bürger agieren, Entscheidungen Treffen an den Bürgern vorbei und der Bürger nicht mehr das Gefühl hat, sich an dem Prozess der politischen Willensbildung beteiligen zu können. Und dann hören wir immer wieder solche Begriffe wie Politikverdrossenheit, Vertrauensverlust, Unzufriedenheit mit den Politikern oder sogar komplexe Krise der Demokratie.“
Seine These: Eine Krise der Demokratie haben wir in Deutschland noch lange nicht, wenn man im Vergleich dazu nach Ungarn oder in die USA schaut. Hier sah er Paradebeispiele dafür, was passiert, wenn politische Extremisten an die Macht kommen. [Im Vergleich dazu könne man in Deutschland noch ganz entspannt sein, auch wenn er die Herausforderungen nicht kleinreden wollte.
Er erinnerte daran, dass sich auch in der Vergangenheit Demokratien auf demokratische Weise abgeschafft hätten. Doch könne man durchaus auch mit Reformen noch zu Veränderungen kommen. Deutschland sei durchaus eine Gesellschaft, in der es noch genügend Leute gäbe, die bereit seien, mitzudiskutieren. In einer repräsentativen Demokratie seien die Möglichkeiten dafür natürlich begrenzt.
Zum Thema Politikverdrossenheit konstatierte er, dass die allermeisten Menschen durchaus noch Vertrauen in die Demokratie hätten, aber nicht mehr unbedingt in die Parteien und Politiker. Er machte drei Vorschläge, daran etwas zu ändern:
1. Stärkung der repräsentativen Demokratie durch mehr Mitbestimmung innerhalb der Parteien, z. B. wenn es um Parteiprogramme geht oder um Kandidatenaufstellung, mehr Transparenz bei den parteiinternen Entscheidungsprozessen, aber auch mehr Dialog durch Nutzung neuer digitaler Verfahren.
2. direkte Beteiligungsverfahren, z. B. Petitionen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid – die sind häufig sehr konfrontativ, aber auch dialogorientierte Beteiligungsverfahren wie Bürgerräte, Bürgerhaushalte, Bürgerbudgets. Eine zentrale Herausforderung dabei ist, dass sie extrem ressourcenintensiv sind. Bürger brauchen Zeit, sich damit zu beschäftigen, müssen sich Wissen aneignen, brauchen auch Geld.
3. Eine Veränderung der politischen Kultur – häufig ist auch politischer Stil damit gemeint – also Werte, Einstellungen und Meinungen gegenüber politischen Akteuren und Institutionen.
Andrea Wirtz nahm in ihrem Kommentar einige Grundsätze für Beteiligung aus dem Vortrag von Toralf Stark auf indem sie betonte, wie wichtig es sei, dass der Zweck von Bürgerbeteiligung klar sein müsse ebenso wie die Formate. Denn ohne Verbindlichkeit und Verlässlichkeit sind Partizipationsprozesse nicht möglich.
Dieter Schöffmann wies in seinem Kommentar darauf hin, das man in Köln versuche, Bürgerbeteiligung nicht nur als einen Dialog Bürger-Politik, Bürger-Verwaltung zu verstehen, sondern auch als horizontalen Dialog zwischen denen, die z. B. nur noch Fahrräder in der Stadt wollen, und denen, die mehr Parkplätze wollen, oder denen, die alles Mögliche wollen, nur nicht im eigenen Quartier.
Bürgerbeteiligung in Bochum in der Praxis
Andrea Wirtz erläuterte in ihrem Beitrag die bisherigen Erfahrungen mit Bürgerbeteiligung in Bochum. Hier gebe es tatsächlich etliche Formate, aber die Bürger:innen würden immer unzufriedener. „Woran liegt das?“, fragte sie. „Es gibt viel Beteiligung rund um Spielplatzgestaltung bis zu großen Bauvorhaben. Beispiel Gerthe West: Rund 2 Jahre. In der Regel gibt es Informationsveranstaltungen, das kann man Herzchen kleben oder Anregungen auf Post-Its. Aber damit ist es meistens schon getan. Ich bin auf vielen solchen Veranstaltungen und treffe auf Bürger:innen die fragen: Was wird denn aus unseren Anregungen und wie geht es weiter?“
So etwas frage man nur dann, wenn man schon mal die Erfahrung gemacht habe, dass es nicht weiter geht. Denn wenn es um die Entscheidungen gehe, mache Politik und Verwaltung das alleine aus. Das führe zu der Frage, warum soll man sich für so eine Veranstaltung einen Abend um die Ohren haut, wenn völlig unklar bleibt, was aus den dort gesammelten Ideen wird.
Als Beispiel nannte Andrea Wirtz den Prozess „global nachhaltige Kommune“: „Da sind verschiedenste zivilgesellschaftliche Initiativen ausdrücklich gebeten worden, sich zu beteiligen, was den Hintergrund hatte, dass dieser Prozess sonst nicht gefördert worden wäre. Es ist auch ein spannender Prozess über eineinhalb Jahre gewesen, an dem 60 Personen mitgemacht haben, die ein wirklich gutes Maßnahmenpaket gemeinsam abgestimmt haben. Dieses finale Arbeitsergebnis hat die Verwaltung der Öffentlichkeit aber nie vorgelegt – auch nicht dem Rat. Veröffentlicht wurde nur, was die Verwaltung aus all diesen Maßnahmen gemacht hat. Weder wir noch die Ratsmitglieder hatten Kontrolle über diesen Prozess. Die Verwaltung hatte keinen Respekt vor dem Arbeitsergebnis.“
„Es reicht nicht, Bürgerbeteiligung zu machen, es geht darum, was aus den Ergebnissen wird“, resümiert Wirtz. „Es kann nicht sein, dass am Ende der Beteiligung an den Ergebnissen nach Gutdünken Veränderungen vorgenommen werden. Das signalisiert Menschen, die das ja ehrenamtlich machen, ihre Zeit opfern, ihre Expertise einbringen: Im Grunde ist euer Engagement nichts wert, weil wir wissen ja, wo es langgeht. Da macht sich Enttäuschung breit, es gibt Verbitterung und einen Vertrauensverlust in Politiker:innen und nicht in die Politik, sodass man keine Lust hat, so eine Erfahrung nochmal zu machen. Das ist verheerend für das Wir-Gefühl in einer Stadt, die sich labelt mit ‚hier, wo das Wir noch zählt‘.“
Der GnK-Prozess sei nicht das einzige Beispiel: „Radentscheid, 17.000 Unterschriften, vom Rat abgelehnt. Hallenfreibad-Initiative Höntrop, 11.000 Unterschriften – die haben Jahre gebraucht, um überhaupt ein Gespräch mit der Verwaltung zu bekommen. Das ist eine Art und Weise, mit verschlossener Tür Politik zu machen in Bochum, die wirklich extrem schwierig ist.“
Ihr Fazit: „Wir habe eine tolle zivilgesellschaftliche Expertise, wir haben unwahrscheinlich viel Engagement. Wir haben eine große Beharrlichkeit und Leidenschaft. Aber es gibt keinen konstruktiven Dialog. Und: Es gibt durchaus eine Menge Bürgerbeteiligung, aber der Umgang mit den Ergebnissen ist katastrophal.“
Von Köln lernen…
Dieter Schöffmann aus Köln engagiert sich seit 35 Jahren für eine stärkere Bürgerbeteiligung, ist als Berater in diesem Bereich tätig und berichtete, wie in Köln in einem langwierigen Prozess Strukturen für eine ernsthafte Bürgerbeteiligung entstanden sind. Als wichtige Voraussetzung für das Erreichen von mehr kommunaler Demokratie nannte er das Verstehen des Widerstandes in Politik und Verwaltung gegen diese als zusätzlich wahrgenommene Aufgabe. In der Verwaltungsausbildung kommt Bürgerbeteiligung z. B. überhaupt nicht vor. Politiker:innen sehen im Engagement von Bürgerinitiativen zunächst einmal Partikularinteressen, während sie als Abgeordnete die demokratische Legitimation der Mehrheit der Bevölkerung haben.
Wichtig sei, so Schöffmann, Verwaltung und Politik nicht als homogene Blöcke zu begreifen, sondern darauf zu achten, welche Akteur:innen aufgeschlossen für Bürgerbeteiligung sind. In Köln habe sich bewährt, mit diesen Kräften ein Pilotprojekt zu starten. Bei der Vorbereitung halfen „Gute Gespräche“ in nicht öffentlichem Rahmen als Vertrauen bildende Maßnahmen. Ziel war ein allmählicher Bewusstseinswandel in Politik und Verwaltung, dass Bürgerbeteiligung sehr oft ein erheblicher Gewinn an Expertise bedeuten kann, der den zusätzlichen Aufwand rechtfertigt.
Schöffmann erinnerte daran, dass natürlich auch gegensätzliche Interessen (z.B. im Bereich Mobilität) in der Gesellschaft existieren. Hier sei es wichtig, sich um eine professionelle Moderation zu bemühen.
In Köln wird jetzt Bürgerbeteiligung nicht mehr vordemokratisch „gewährt“, sondern ist institutionalisiert. Eine Infrastruktur wurde dafür implementiert, die hauptamtlich von sechs Kräften betreut wird. Ab November dieses Jahres muss jede Verwaltungsvorlage erläutern, wie die Bürgerbeteiligung im konkreten Fall aussieht oder begründen, warum sie nicht vorgesehen ist.
In der Diskussion wurde vielfach die Sorge um die Demokratie angesichts der Erfolge der radikalen Rechten thematisiert und dass Bürgerbeteiligung von denen für ihre Zwecke missbraucht würde. Das Podium war sich einig, dass gerade Partizipation ein wichtiges Mittel gegen den Einfluss dieser Kräfte ist und Toralf Stark betonte, dass dialogorientierte Partizipation der Rechten überhaupt nicht ins Konzept passe.
Vorträge von Toralf Stark, Andrea Wirtz und Dieter Schöffmann

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